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Räumliche Verzerrungen in kognitiven Karten - eine Chance und Herausforderung, die Prinzipien des Kartendesigns zu bereichern

Einleitung: Kognitive Karte

Der Begriff kognitive Karte wird seit seiner Einführung durch den Psychologen Eduard C. Tolman (1948) in einem vielfältigen und interdisziplinären Portfolio von Publikationen verwendet. Der Begriff ist nützlich und verwirrend zugleich. Er verleitet dazu, das Wort "Karte" zu betonen und damit den Begriff in einem streng kartographischen Sinne zu betrachten - eine kognitive Karte ist jedoch nicht als ein kohärentes, nach kartographischen Prinzipien gestaltetes Ganzes zu sehen, sie ist ein metaphorischer Begriff und bezieht sich vielmehr auf eine "Collage" (Tversky, 1993), die die "Wahrnehmungen, Eindrücke, Informationen, Bilder und Überzeugungen, die Menschen über ihre Umgebung haben" (Moore & Golledge, 1976), umfasst. Eine kognitive Karte ist das Ergebnis der (neu) verarbeiteten Erfahrungen, die Individuen mit der räumlichen Realität gemacht haben. Es handelt sich um Informationen über Orte, ihre räumlichen Beziehungen und die An- oder Abwesenheit bestimmter Objekte. Dieses räumliche Wissen basiert auf den Erfahrungen in der Umwelt selbst (direkte Erfahrung) oder auf Informationen, die aus kartographischen Visualisierungen gewonnen wurden (indirekte Erfahrung). Diese Erfahrungen sind nicht auf die visuell aufgenommenen Informationen beschränkt. In einer kognitiven Karte werden die Wahrnehmungen aller menschlichen Sinne zusammengeführt.

Abb. 1: Zwei Probanden, die Objektpositionen in einer Karte lernen
Abb. 1: Zwei Probanden, die Objektpositionen in einer Karte lernen

Aktueller Stand

Abgesehen von der neueren Entwicklung, emotional bewerteten Raum zu visualisieren, hat sich der Großteil der Forschung zu kognitiven Karten bis heute damit beschäftigt, wie Individuen räumliche Informationen erwerben, kodieren, speichern, abrufen und dekodieren. In diesem Sinne gab es einige wichtige Studien, die räumliche Verzerrungen als Folgen der normalen Verarbeitung identifizierten:

Frühere Forschungen zu kognitiven Karten haben aus einer eher psychologischen Perspektive gezeigt, dass einige wahrnehmungsbasierte Phänomene die Genauigkeit beeinflussen, wenn Menschen versuchen, die Positionen von räumlichen Objekten aus Karten oder kartenähnlichen Darstellungen zu lernen. Menschen neigen von Natur aus dazu, ihr Gedächtnis auf eine einfache Weise zu organisieren. Beim Lesen von Karten wird die visuelle Wahrnehmung des Menschen durch einige organisierende Effekte manipuliert, wie z. B. die Gruppierung von Objekten nach Nähe, nach (Form- und Farb-) Ähnlichkeit, nach Symmetrie, nach Verbundenheit und nach gemeinsamer Region. Aus Sicht eines Kartographen bleibt unklar, ob man gängige Kartengestaltungsprinzipien modifizieren kann, um räumlichen Verzerrungen entgegenzuwirken, die durch die Kartengrafik und die Art ihrer Wahrnehmung hervorgerufen werden. Dies ist der Ausgangspunkt für das Ziel dieses interdisziplinären Forschungsprojekts.

Abb. 2: Ein Screenshot mit den ursprünglichen (lila) und realisierten (gelb) Objektpositionen (automatisch erstellt mit einem Adobe © Flash © -Tool, das für die empirische Datenerfassung verwendet wird).
Abb. 2: Ein Screenshot mit den ursprünglichen (lila) und realisierten (gelb) Objektpositionen (automatisch erstellt mit einem Adobe © Flash © -Tool, das für die empirische Datenerfassung verwendet wird).

Das Ziel des Projekts

Ziel des Projekts ist es, bestimmte Kartenmerkmale zu identifizieren und zu optimieren, um die wahrnehmungsbedingten Verzerrungen zu reduzieren, die Menschen von Karten lernen und in ihren kognitiven Karten speichern. Das Projekt, an dem sowohl der Fachbereich Geographie als auch der Fachbereich Psychologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) beteiligt sind, will die Erkenntnisse über die Strukturen des räumlichen Gedächtnisses nutzen, um die Prinzipien der Kartengestaltung zu optimieren. Die Verbesserung der Gestaltungsprinzipien beruht insbesondere auf der Idee, dass die Konstruktion von kognitiven Karten durch die Kartengrafik gesteuert werden kann. Bisher wurde nicht untersucht, welche spezifischen Elemente der Kartengrafik die entscheidenden Merkmale sind, die die Genauigkeit beim Abrufen (siehe Abb. 1 & 2) von aus Karten gelernten Objekten (indirekte Erfahrung) beeinflussen. Nachdem diese Kartenmerkmale qualifiziert wurden, sollen sie quantifiziert werden. Das heißt, sie sollen in ihrer Gestaltung verändert und untersucht werden, um den räumlichen Verzerrungen, die Menschen von Karten bekommen und fälschlicherweise in ihren Köpfen mit sich herumtragen, entgegenzuwirken und zu reduzieren. Das ideale Ergebnis des Projekts wäre ein Katalog von qualifizierten und quantifizierten Kartenmerkmalen, die helfen, Karteninformationen genauer zu speichern: Kartographen sollen verlässliche Aussagen erhalten, wie sie wahrnehmungsbedingte Verzerrungsfehler überlisten können und somit eine Karte so gestalten können, dass die Kartenkommunikation ein Stück weit effizienter wird. Die Idee, die hinter dem Projekt steht, wird in Abbildung 3 veranschaulicht.

Abb. 3: Die Grundidee des interdisziplinären Projekts.
Abb. 3: Die Grundidee des interdisziplinären Projekts.

Publikationen

Bestgen, A.-K., Edler, D., Dickmann, F., & Kuchinke, L. (2013). Grid or no grid: distance distortion in recognizing spatial information from complex cartographic maps. In M. Knauff, M. Pauen, N. Sebanz, & I. Wachsmuth (Hrsg.), Cooperative minds: social interaction and group dynamics: 35th Annual Meeting of the Cognitive Science Society (CogSci 2013) ; Berlin, Germany, 31 July - 3 August 2013 (Bd. 1, S. 193–196). Abgerufen von http://mindmodeling.org/cogsci2013/cogsci2013_proceedings.pdf

Dickmann, F., Edler, D., Bestgen, A.-K., & Kuchinke, L. (2013a). Spatial distortions in cognitive maps - a chance and challenge to enrich the principles of map design. Kartographische Nachrichten, 63(3), 174–181. https://doi.org/10.1007/BF03546131